Vom Häftling zum Schiedsrichter: Chance zur Veränderung genutzt

27.08.2020
JVA Frankenthal Schiedsrichterausbildung

Vor rund vier Jahren absolvierte der heute 31-jährige Frank als Häftling einen von der DFB-Stiftung Sepp Herberger unterstützten Schiedsrichter-Lehrgang in der JVA Frankenthal. Inzwischen lebt er längst in Freiheit. Er hat einen festen Job, eine Partnerin – und bis heute mehr als 300 Spiele geleitet.

 

An den Beginn des neuen Lebensweges kann sich Frank noch gut erinnern. Es war ein Sonntag im September 2016, der dem Südwesten der Republik noch einmal schönes Spätsommerwetter und ihm eine Premiere bescherte. Zum ersten Mal leitete der damals 27-Jährige als Schiedsrichter eine Partie. Es war ein E-Junioren-Duell zweier namhafter Klubs der Region. „Ich war aufgeregt, nervös und froh, die üblichen Abläufe rund um ein Match zumindest als Spieler gut zu kennen. Letztlich ist dann alles glatt gelaufen“, erinnert sich Frank. Sein eigentlicher Name ist ein anderer, doch den will der inzwischen 31-Jährige lieber nicht öffentlich machen. Denn er hat eine Vergangenheit, die er gerne hinter sich lassen will, weil sie kein Ruhmesblatt ist und bei manchen Leuten Vorurteile schürt. Frank hat beinahe vier Jahre seines Lebens hinter Gittern verbracht. Nach dem erfolgreich absolvierten Schiedsrichter-Lehrgang erlebte er das besagte Jugendspiel als Freigänger in der Endphase seiner Haftstrafe. „Eingefahren“, sagt er, „bin ich für räuberischen Diebstahl“.

 

Die Zeit in der JVA Frankenthal, wenige Kilometer nördlich von Ludwigshafen am Rhein, bezeichnet er als verlorene Jahre. „Aber ich habe nicht unschuldig gesessen und kann es sowieso nicht ungeschehen machen, daher habe ich damit abgeschlossen und schaue nach vorne“, sagt er. Seit der Entlassung aus der Haft hat er ein neues Leben begonnen. Wichtig sind nun Job, Partnerin und der kleine Hund, um den sie sich gemeinsam kümmern. Aber auch ein Teil seiner Vergangenheit hat einen Platz in der Gegenwart: Noch immer engagiert sich Frank als Unparteiischer. Inzwischen habe er bereits mehr als 300 Spiele auf dem Buckel und es mache immer noch Spaß, sagt er. Selbst in der Verbandsliga ist der einstige Strafgefangene unterwegs. Die erste Begegnung war aber zweifellos eine besondere. „Ich erhielt damals Sonderausgang, um das Spiel leiten zu können. Anderthalb Stunden vor dem Anpfiff ging es raus, anderthalb Stunden nach dem Abpfiff wieder rein“, beschreibt er die Abläufe. Damals habe ihn vor allem der Ausblick auf eine nette Abwechslung, auf einen Hauch von Freiheit gereizt.

 

Abwechslung vom Alltag hinter Gittern

Das war neben der Begeisterung für den Fußball auch der wesentliche Grund, sich überhaupt für die Teilnahme am Schiedsrichter-Lehrgang in der Justizvollzugsanstalt zu interessieren. „Es war einfach eine Chance, mal etwas anderes zu tun, als die Wände der Zelle anzustarren“, erklärt Frank. Doch der ehemalige Verbandsliga-Fußballer fing Feuer. Genau wie die übrigen Teilnehmer, die nun einmal wöchentlich für zwei Stunden Neues über das Reglement, die Anforderungen an die Persönlichkeit und Feinheiten des Geschäfts erfuhren. „Die allermeisten waren bislang sehr interessiert“, findet auch Roland Schäfer. Der langjährige Schiedsrichter-Obmann des Fußballkreises Rhein-Pfalz, leitete zusammen mit seinem Stellvertreter die bisherigen Lehrgänge hinter den Mauern – stets unterstützt von den Mitarbeitenden der JVA. Gefördert hatte das Angebot die DFB-Stiftung Sepp Herberger im Rahmen ihres bundesweiten Engagements in Strafanstalten. Nicht nur für die jeweils rund zwölf Teilnehmer ist das eine spannende Angelegenheit. Schäfer, der zuvor nie Kontakt zum Leben im Knast hatte, ist stets aufs Neue vom Elan und Engagement der Häftlinge angetan. „Da ist immer Begeisterung zu spüren. Und auch in den abschließenden Prüfungen zum Schiedsrichterschein haben sich bislang alle bewährt“, betont er.

 

Schiedsrichter mit internationaler Erfahrung

Das liegt wohl an mehreren Faktoren: Die Teilnehmer genießen die Abwechslung. Die inhaltliche Aufbereitung ist trotz der Beschränkung auf die Theorie dank Videobeiträgen, Filmen und Diskussionen abwechslungsreich. Hinzu kommt, dass Schäfer mit den Schilderungen einer äußerst erfolgreichen Schiedsrichterkarriere dienen kann. Der heute 66-Jährige leitete Partien in der ersten und zweiten Fußball-Bundesliga und assistierte 175 Mal bei Länderspielen, Europacup- und Bundesliga-Partien. Unter anderem bildete er ein Gespann mit dem einstigen FIFA-Referee Markus Merk. Der dreifache Weltschiedsrichter Merk begleitete Schäfer im Dienst der Sepp-Herberger-Stiftung daher wiederholt in die Strafanstalt, um den Absolventen ihre Zertifikate zu überreichen. Auch der aktuelle FIFA-Referee Christian Dingert kam zu einer Abschlussveranstaltung in die JVA – eine einprägsame Erfahrung, die er nicht missen will. „Ich konnte vor meinem Besuch in der Haftanstalt gar nicht einschätzen, was mich erwartet. Umso schöner war es dann zu sehen, wie interessiert, neugierig und engagiert die neuen Schiedsrichter waren. Wir kamen schnell in den fachlichen Austausch“, erinnert sich Dingert.

 

Dieses konstruktive Miteinander prägte nicht nur die Abschlussveranstaltungen. „Die Lehrgänge waren wirklich sehr anschaulich und gut gemacht. Und die Lehrgangsleiter sind die Aufgabe frei von Vorurteilen und Berührungsängsten angegangen“, erinnert sich Frank, der sich sein Rüstzeug als Schiedsrichter in einem der ersten Kurse in Frankenthal holte. Schäfer gibt dieses Lob gerne zurück. „Frank war von Anfang an voll dabei. Es war schnell zu erkennen, dass er das Zeug dazu hat, ein guter Schiedsrichter zu werden“, unterstreicht der pensionierte Gymnasiallehrer. Es mache ihn glücklich und ein wenig stolz, dass der einstige Schützling auch nach der Haftentlassung weiter gemacht habe. Er sei damit ohne Zweifel ein Vorbild für andere. Das Engagement als Schiedsrichter, der Rollenwechsel vom Regelbrecher zum Regelhüter forme die Persönlichkeit, helfe einstigen Straftätern auf dem Weg in ein geordnetes, glückliches Leben. FIFA-Schiedsrichter Dingert pflichtet ihm bei: „Die Schiedsrichterei gibt vieles: Verantwortung und Spaß, Teil des Fußballs sein zu dürfen. Man lernt den Umgang mit Kritik und findet in der Zusammenarbeit mit anderen Schiedsrichtern natürlich auch Halt, Zugehörigkeit, Teamgeist.“

 

Für die Teilnehmer der Lehrgänge entfaltet sich die positive Wirkung noch vor der Entlassung aus der Haft, betont Schäfer. Allein eine bestandene Abschlussprüfung mache selbstbewusst und führe zu der Erkenntnis, mit Einsatz etwas erreichen zu können. „Das ist für viele Häftlinge eine neue Erfahrung“, meint Schäfer, der davon überzeugt ist, „dass diese Initiative der Sepp-Herberger-Stiftung wirklich eine Erfolgsgeschichte geschrieben hat“.

 

Frank hat den Lehrgang hinter Gittern dazu genutzt, seine ganz persönliche Erfolgsstory zu schreiben. Auch er sagt, die Persönlichkeit verändere sich durch die Tätigkeit als Unparteiischer. „Du musst entscheiden, führen, deeskalieren und souverän auftreten“, beschreibt er die Anforderungen, „als Häftling musst du nur gehorchen. Die Entscheidungen treffen andere für dich.“ Von diesen Erfahrungen profitiere man auch abseits des Platzes. Das öffne Türen. Für ihn sei es eine Chance zur Veränderung gewesen. Vielleicht hat er genau das unterbewusst schon gespürt, als er erstmals ein Spiel leitete. Als er aufgeregt, aber glücklich war. Damals, als an jenem besonderen Spätsommertag im Südwesten der Republik ein Anstoß für ein neues Leben gegeben wurde.

JVA Frankenthal Schiedsrichterlehrgang
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Quelle: Sepp Herberger Stiftung
Bilder: Getty Images